Die „Art“, wie meine Familie und ich leben, hat vor einigen Jahren durch den Hinweis einer lieben Freundin einen „Namen“ bekommen: unerzogen. Dieses Thema wird in letzter Zeit bekannter und öffentlicher – was ich wunderbar finde und wozu ich ja auch mit meiner Arbeit ein kleines bißchen beizutragen versuche.
Recht häufig lese ich jedoch in letzter Zeit eine Formulierung, die mich innerlich tief schauern lässt, die lautet so oder so ähnlich: „unerzogen ist doch nur ein weiterer Erziehungsstil.“ oder „Attachment Parenting, Laisser-faire, unerzogen, autoritäre Erziehung und andere Methoden“. Da schüttelt es mich.
Keine Methode
Für mich liegt das Problem dabei eben in dem Wort „Methode“. Ich kann nahezu alles als Methode anwenden -oder ich kann eine Haltung leben, dazu wird es aber in einem weiteren Artikel Näheres geben.
Die Grundlage ist: Erziehung hat immer ein Ziel. Wenn ich erziehe, möchte ich etwas erreichen. Ich tue etwas mit einem Grund – mit einem Ziel. Es steckt ein „damit“ oder ein „um zu“ in meinem Tun. Manchmal ist das Ziel auch eine Vermeidung von etwas. (z.B. soll mein Kind nicht „rücksichtslos“ werden)
Wenn ich erziehe, versuche ich den anderen zu ändern. Ich stelle mich über den, den ich erziehe – z.B. mein Kind – und meine, ich wüßte Dinge besser, ich habe ein Bild davon, wie mein Kind sein soll oder sich verhalten soll und versuche es dorthin zu bringen. Ich unterstelle, dass meine Position die „richtige“ ist, versuche „negative“ Eigenschaften zu unterdrücken und „positive“ zu verstärken. (Wenn ich erziehe, bewerte ich sehr stark, by the way).
Meine Tochter kommentierte neulich die Aussage einer Bekannten, dass die Kinder nun endlich doch mal ins Bett müssten, es sei doch schon so spät und sonst kämen sie doch morgens nicht aus dem Bett, mit „Aber Mama, die Frau weiß wohl nicht, dass Kinder selbst am besten wissen, was gut für sie ist !“ Die Frau lachte – als hätte meine Tochter einen Scherz gemacht oder als wäre das völlig abstrakt und nicht vorstellbar, dass eben ein Kind weiß, was gut für es ist – besser als sie, besser als ich. Wer sonst aber als sie selbst sollte wissen, ob meine Tochter müde ist? Wieviel Schlaf sie braucht ? Und da ging es hier um meine große Tochter, 9 Jahre alt, bei den Kleineren herrscht da noch mehr Unverständnis. (Auch in die andere Richtung – wenn nämlich der Zweijährige ankommen „Mama, ich bin müde, ich will ins Bett !“)
Nehme ich den anderen ernst?
Gehe ich davon aus, der noch so junge Mensch ist selbstbestimmungsfähig?
„Das Kind weiß besser als seine Eltern, was es in jedem Stadium seiner Entwicklung braucht“
Und das Kind teilt das eben auch mit. Quasi vom ersten Atemzug an.
Da liegt eben auch der Unterschied zwischen Methode und Haltung: stille ich beispielsweise, weil Stillen gut und gesund ist für das Kind, das Immunsystem stärkt etc ? Oder einfach, weil es sich passend anfühlt für mich und mein Kind?
Ähnlich verhält es sich mit dem Erziehen oder Nicht-Erziehen. Erziehen verfolgt immer ein Ziel, geht davon aus, ich müßte einem anderen Menschen etwas „beibringen“.
Das Kind dazu anzuhalten, Bitte und Danke zu sagen, damit es ein höfliches, anerkanntes Mitglied der Gesellschaft wird, oder weil die Nachbarin sich sonst über das „ungezogene“ (oder unerzogene ;-)) Kind aufregt, hat erzieherischen Charakter. Wenn ich dagegen Bitte und Danke gebrauche – auch im Umgang mit meinem Kind, dort Bitte und Danke genauso verwende, wie ich es mit anderen Menschen tue – dann sieht mein Kind, in welchen Situationen ich das tue. Das ist soziales Lernen für mein Kind. Wenn ich nicht erziehe, ist es dann Entscheidung meines Kindes, ob es genauso oder ähnlich handelt wie ich oder ob es das Bitte und Danke vielleicht auch nicht verwenden möchte – und ich kann es dann sein lassen in seiner Entscheidung und diese respektieren. Ich kann erklären, warum ich grüße – aber ich zwinge nicht mein Kind mit freundlichen oder unfreundlichen Worten, es mir gleichzutun.
Erziehung hat immer ein Ziel
Das ist wie ich finde der ganz zentrale Unterschied. Ich gehe nicht auf eine bestimmte Art mit meinem Kind um, damit es ein guter Mensch wird. Ich glaube, es ist bereits alles, es braucht nicht zu werden. Meine Aufgabe ist es lediglich, zu begleiten. Da zu sein, wenn ich gebraucht werde, aber mich nicht aufzudrängen. Wenn ich aber gebraucht und gefragt werde, dann auch wirklich da zu sein und ehrlich zu antworten. Und mein Kind dann selbst entscheiden zu lassen, was es damit anfangen möchte oder auch nicht.
Ich halte es für relativ wahrscheinlich, dass ein Mensch, der von Anfang an erlebt hat, dass seine Bedürfnisse und Empfindungen wahrgenommen und geachtet werden, überwiegend auch die Bedürfnisse seiner Mitmenschen sieht und achtet. Eine Folge oder ein Ziel meines Tuns ist das aber nicht. Eventuell werden meine Kinder auch völlig entgegen meiner Werte leben. Also so richtig. Das kann ich nicht wissen.
Vielleicht ist aber auch das, was ich denke, überhaupt nicht richtig. Ich befinde mich ja auch in einer permanenten Weiterentwicklung. Da bleiben gewisse Grundlagen, ja, aber in vielen Bereichen habe ich inzwischen eine andere Sichtweise als früher. Und in 10 Jahren wird es wieder anders sein.
Dieses „Umzu“, diese Ergebnisorientierung ist ganz tief in vielen verankert.
Vor einigen Jahren gab es bei uns große Diskussionen mit ehemaligen Freunden. An einer Feier wurde geschaut, wie sich unsere Kinder benehmen und jedes vermeintliche „schlechte Benehmen“ wurde auf’s Äußerte bewertet. Auf Nachfrage bekamen wir zu hören „Ja, wenn jemand alles so ganz anders macht auch in der Erziehung, dann schaut man ja schon, was dabei herauskommt!“ Uff. Hat mich schon damals umgehauen. Kein Kind, kein Mensch ist ein Gefäß, in das wir oben A reinfallen und unten kommt B raus. Wenn überhaupt, sind wir eine bunte Mischung aus den Eigenschaften, die wir mitbringen, unserer Umgebung, unserem Erleben und vielleicht noch 3-50 Unbekannten. Das bedeutet nicht, dass es egal ist, was wir tun. Aber es zeigt, von welch subtiler Manipulation in der Erziehung ausgegangen wird – und das diese nicht selten auch noch für „gut“ erachtet wird.
Wunderbar zur Lektüre hierzu sind Ekkehard von Braunmühl und Alice Miller (letztere eventuell nicht unbegleitet). Von erziehender Seite aus kommt da gelegentlich das Argument, dass diese ja teilweise ihre Theorien auch nicht alle leben konnten. Ich meine, dass das eben auch gar nicht notwendig ist. Wir alle bewegen uns als Lernende auf Basis unserer Erfahrungen und unseres transgenerationalen Erbes und verhalten uns so gut, wie wir können.
Erziehung ist Manipulation und Machtausübung
Dieses Bild geht davon aus, was das eigentliche Wesen von Erziehung ist: einen anderen wissentlich und willentlich beeinflussen. Natürlich bleiben wir alle von unserer Umgebung und den Menschen um uns herum nicht unbeeinflusst, das ist auch die dann häufig folgende Argumentation. Natürlich sieht mein Kind, was ich tue oder hat eine Ahnung davon, was ich gut finde und was nicht. Das ist aber etwas völlig anderes als die gezielte Einflussnahme – Manipulation eben. Und diese Einflussnahme kann subtil stattfinden und leise. Nichtsdestotrotz ist sie Machtausübung in Reinform. Das fällt den heutigen Erwachsenen oft erstmal gar nicht auf; was auch nicht weiter verwunderlich ist, schließlich wurden die meisten von uns erzogen.
Nicht alles, was unerzogen aussieht, ist auch unerzogen
Drum sehen von außen unerzogen und „liebevolle Erziehung“ erstmal sehr ähnlich bis gleich aus, auch wenn sie nichts miteinander gemein haben.
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Gerade bereite ich meinen zweiten großen Online-Kongress vor – waren Attachment Parenting und unerzogen im Ansatz ja bereits Bestandteil des Bildungskongresses, widme ich ihnen nun einen eigenen Kongress mit tollen Experten. Du willst dabei sein ? Trage Dich hier ein, dann informiere ich Dich auch über Neuigkeiten in diesem Bereich.
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Danke für diesen Artikel, es ist spannend zu sehen, was Du unter Erziehung verstehst und ich kann verstehen, weshalb Du das ablehnst.
Und natürlich ist „unerzogen“ für alle, die Erziehung nicht als „zielgerichtete Manipulation“ definieren wie Du, sondern als „Kinder auf dem Weg zum Erwachsen werden begleiten“, einfach eine weitere Möglichkeit, eben dies zu tun sprich: ein Erziehungsstil neben anderen.
Kinder begleiten ist erziehen. Sie nicht zu begleiten ist Vernachlässigung.
Nicht begleiten ist Vernachlässigung, das sehe ich auch so. Den Unterschied „Erziehung oder nicht“ mache ich bei zwei Fragen: wer bestimmt, bei was ich begleite, was das Kind tut? Wenn ich nicht erziehe, begleite ich evtl auch etwas, was ich selbst für mich nicht mag oder sogar ablehne, was aber meinem Kind wichtig oder für es gerade dran ist. Weiterhin halt eben wie geschrieben die Frage, handle ich aus einem Ziel heraus? Will ich damit Einfluss darauf nehmen, was für ein Mensch mein Kind wird?
Also so ein Schwachsinn! Mal ganz ehrlich! Ihr wollt hier irgendeine Theorie aufstellen, um eure Faulheit zu legitimieren. Erziehung ist und bleibt anstrengend! Kinder müssen aber erzogen werden! Sie haben noch kein Verständnis für die Konsequenzen ihrer Tat. Ich erlebe tagtäglich, wie unerzogen/verzogen/unverschämt/arrogant die Kinder heutzutage sind und ihr tragt mit euren „Möchtegernpseudo-Pädagoge von
morgen“-Versuchen erheblich dazu bei. Die Kinder sollte man euch weg nehmen: Legitimation zur Faulheit!
Ich empfinde unerzogen leben als wesentlich intensiver, faul sein dürfte mit Erziehung vermutlich leichter gehen. In der Erziehung gibt es für vieles genaue Vorstellungen und „Handlungsanweisungen“. Unerzogen ist ein ständiges Austarieren, ein „kommt darauf an“, ständige Selbstreflexion im Zusammenspiel mit anderen ohne „das macht man so“.
Vielleicht liegt es am Wort unerzogen, dass so leicht zu Missverständnissen führt? Nachdem ja Erziehung enthalten ist, impliziert es möglicherweise bei einigen/vielen (ich muss zugeben auch bei mir) dass es sich dabei um einen Erziehungsstil handelt …
Ich finde die Diskussion darüber toll, weil es sicher bei vielen Eltern Bewusstsein schafft. Und dass kommt schlussendlich den Kindern zugute, wenn Eltern ihr eigenes Handeln überdenken
Liebe Vera,
ja, das ist möglich – ich finde das Wort auch nicht so sehr glücklich, auch wenn ich die Intention der Wortschöpfer damals ein bißchen kenne. Außer dass ich für das unerzogen Magazin schreibe, habe ich das Wort auch bisher in meiner Arbeit in den letzten Jahren relativ wenig verwendet. Jetzt wird es allerdings „modern“ und ist irgendwie in aller Munde, da wissen mit dem Begriff zumindest relativ viele etwas anzufangen, und er ist soweit klar „definiert“.
Ich denke, das eigene Handeln zu überdenken, ist die Basis. Es kann ok sein, wenn wir so agieren, wie wir es seit Jahrzehnten kennen – aber es ist gut, wenn es uns einfach bewußt ist und eine bewußte Entscheidung ist. Einfacher ist meist erziehen, weil es klare „Regeln“ gibt.
LG
Lena
Hallöchen,
Ich bin neu hier, deswegen kommen mir spontan zwei Fragen: – wenn man sein Kind begleitet, begleitet man es auch bei Dingen, die man selbst für nicht gut hält? Und wenn ja, kommuniziert man dies dann, dh sagt man dann in etwa „ich helfe dir dabei, ein Plakat für die Afd zu basteln, weil du mich gebeten hast, auch wenn ich aus folgenden Gründen die Afd für den größten menschenverachtendsten Mist halte“?
Danke ☆
Nina
Liebe Nina,
herzlich willkommen 🙂
Ja, begleiten statt erziehen basiert im Grunde darauf, dass das, was ich für „gut“ oder „richtig“ halte, nicht unbedingt allgemeingültig ist und das mein Kind sich anders entscheiden kann und darf, als ich das würde oder als ich das für gut heiße, ohne damit grundsätzlich unsere Beziehung zueinander und meine Liebe für es in Frage zu stellen. Und in Dialog zu kommen bzw. im Dialog zu bleiben. In Deinem Beispiel mit der AfD würde ich daher noch ergänzen: ich frage mein Kind, warum es die AfD unterstützen möchte, was es an der AfD gut findet, seine Gründe, die AfD eben nicht für menschenverachtenden Mist zu halten. Es gibt auch sicherlich Dinge, die würde ich sicher nicht machen, weil sie zu fern von meinen Werten oder was auch immer sind – schon bei dem AfD-Plakat bin ich mir nicht ganz sicher. Das würde ich dann auch entsprechend sagen.
Lieben Gruß
Lena
Hallo Nina,
wenn ein Mensch ein AfD-Plakat basteln möchte, ist es schon groß genug, dass er dies auch selbständig machen kann. Meine Begleitung würde darin bestehen, dass wir – bei Anfrage – darüber reden, was an einem Plakat wichtig ist, und eventuell, wo man das Material für ein Plakat bekommt oder mit welchem Computerprogramm man das machen kann. Ganz allgemein und soweit meine Kenntnisse reichen. Natürlich können wir auch darüber sprechen, welche Vorteile die AfD bietet, und auch welche Haken ich sehe.
Als mein Sohn geboren wurde, habe ich mir versprochen, ihn bei „allem“ zu begleiten. Begleitung kann ja ganz unterschiedlich aussehen. Es kann auch bedeuten, dass ich dabei helfe, eine Fachperson zu finden, denn ich kann nicht alles.
Mittlerweile erlaube ich es mir, meinen Sohn *nicht* zu unterstützen, wenn er Ziele verfolgt, die mir nicht passen. Ein Mensch kann sehr unterschiedliche Ziele haben. Bei manchen mache ich gern mit, bei anderen biete ich eher Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn es mir total gegen den Strich geht, dann helfe ich nicht mehr. Ich habe lange damit gerungen, mich innerlich „verpflichtet“, bei allem zu helfen, und bin dabei über meine Grenzen gegangen. Das hat sich nicht gut angefühlt. Also habe ich mich von dieser „Selbstverpflichtung“ gelöst.
Nicht unterstützen bedeutet aber ausdrücklich *nicht*, einem Steine in den Weg zu legen! Wenn das Projekt so wichtig ist, kann sich jeder selbst an eine andere Person wenden. Wir leben ja nicht isoliert.
Mit dem Kommunizieren meiner Meinung habe ich nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Ich denke es bedarf eines Feingefühls, um sachlich und leicht rüberzubringen, was ich nicht gut finde, und nur wenn Interesse besteht.
Ich denke, wo die Beziehung stimmt, kommt man nicht in innere Konflikte. Also wenn „schwierige“ Situationen aufkommen, würde ich empfehlen, auf die Beziehung schauen, und diese verbessern.
Schönen Gruß
Eva
Hallo Lena,
sehr spannender Artikel. Sehr schön finde ich, dass Du offen sagst dass Du nicht wissen kannst, ob Du das so jetzt richtig machst oder nicht. Eine Aussage, die ich in Diskussionen mit Freunden auch immer wieder mache: „Ob ich das so richtig mache oder nicht kann mir vielleicht der Therapeut meines Sohnes in 30 Jahren sagen 😉“.
Ich erziehe (ja, doch, irgendwie) meinen Sohn sehr selbstbestimmt und es stößt im Freundeskreis oft auf Unverständnis wenn ich erkläre dass es z.B. seine Verantwortung ist ob er Hausaufgaben macht oder nicht und nicht mein Job ständig nachzufragen und zu kontrollieren ob alles erledigt ist. Auch, wenn das im Ernstfall bedeutet eine Klasse wiederholen zu müssen.
Aber es gibt Dinge da denke ich, ich muss auch leiten – Zähneputzen, anschnallen im Auto und ähnliches, da kann ich nicht warten bis er das durch abgucken gelernt hat. Wie hält man das, wenn man nicht erzieht?
Auch bei potenziellen Suchtfaktoren (Zuviel Zeit vorm Fernseher oder sonstiger Elektronik zum Beispiel … Das hat ja nicht nur mit Werten zu tun sondern kann die körperliche oder geistige Gesundheit schädigen – würdest Du da eingreifen?
Liebe Grüße
Michaela
Hallo Michaela,
ja, das wissen wir einfach nicht, so oder so. Mein „richtig“ muß nicht das „richtig“ meines Kindes sein.
Ich halte es eigentlich so: Dinge, bei denen potentiell Lebensgefahr besteht, da geht im Zweifel nur mein Weg (Kind rennt auf die Straße, am Wasser Gefahr des Reinfallens) und ich begleite entsprechend eng. Alles, wobei man sich im Normalfall höchstens einen Arm brechen kann o.ä., da gilt eher Selbstverantwortung und lockere Begleitung. (Klar, wenn es blöd läuft, kann man bei fast allem übelste zu Schaden kommen)
Anschnallen z.B.: da gab es zwischendurch bei allen meinen Kindern die Phase, da wollten sie das gar nicht. Da habe ich das Erklären versucht und auch tatsächlich die Situation wo es ging versucht zu vermeiden, weil das schon ziemlich übergriffig ist, jemanden gegen seinen Willen anzuschnallen 🙁 Wenn es gar nicht anders ging, habe ich aber auch das gemacht. Unerzogen heißt eben auch nicht Vernachlässigung und das Kind entscheidet immer und ohne Ausnahme alles. Aber wenn sie von Anfang an selbstbestimmt sein können, können sie halt eben doch in den allermeisten Themen selbstverantwortlich sein – so, wie Du es mit Deinem Sohn auch erlebst und was bei (stärker) Erziehenden auf Unverständnis stößt, weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass das geht. Und ja – von heute auf morgen, wenn es vorher jahrelang anders gemacht wurde, ist es halt eben auch schwer, da ist die Umstellung wirklich auch ein Prozess.
Beim Zähneputzen besteht aus meiner Sicht keine potentielle Lebensgefahr o.ä., da respektiere ich die Phasen des Nichtwollens – und häufig geht es alle 2 Tage spätestens dann doch auch mit ein bißchen Spaß ganz gut oder es funktioniert zumindest das alleine putzen, ein bißchen Zahnpasta schlecken etc. Außerdem verwende ich da Xylit als antikariogen (heißt das so ? Gegen Karies eben). Grundsätzlich bin ich da schon hinterher, zumal ich selbst sehr schlechte Zähne habe, aber von daher weiß ich auch, dass körperliche Übergriffe da auch nichts von vornherein retten. Da würde ich aber auch ein wenig schauen, wie anfällig ist ein Kind in dem Bereich? Und gerade bei den Zähnen kann man ja auch mit Ernährung viel bewirken.
Generell versuche ich, wenn etwas gar nicht läuft, eine Alternative zu finden, soweit es irgendwie möglich ist mit dem Kind zusammen und auf seinen Vorschlag. „Ich merke, so geht es für Dich nicht – was wäre Deine Idee oder was stört Dich so sehr daran?“ Ich glaube, dass wir oft generell zu wenig kommunizieren mit den Kindern 😉
Suchtfaktoren – ok, da vertrete ich die Ansicht, dass es eher an vielen anderen Faktoren (wie der Beziehung) liegt als an dem vermeintlichen Suchtmittel. Und wenn, dann sind unterschiedliche Menschen auch für unterschiedliche Dinge anfällig.
Ich selbst hatte eine eher dysfunktionale Familiensituation als Kind. Ich konnte immer frei TV gucken – als Erwachsene und schon als Jugendliche war mir das nie wichtig. Mittlerweile gucke ich eigentlich gar nix mehr. Auch bei Alkohol war ich nie anfällig (trotz entsprechenden Konsums), bei Rauchwaren schon sehr.
Nach meiner Erfahrung funktioniert da die Selbstregulation (im Sinne von mehr machen oder konsumieren, als einem gut tut, sodass es einem tatsächlich schlecht geht und man merkt das wiederholt nicht. Nicht Selbstregulation im Sinne von „ok ist, was ich als Mutter ein gesundes Maß finde“ ;-)) beim dauerhaften Nichterziehen eigentlich nahezu immer, weil das Kind selbst herausfinden darf, was ihm gut tut. Es sei denn, da ist die Wahrnehmung gerade oder dauerhaft gestört. Dann helfe ich zumindest mit Fragen, ob es allen noch gut geht mit der Situation oder greife dann ein, wenn es dem Kind wirklich schlecht geht bzw. es Hilfebedarf signalisiert. Nicht grundsätzlich fremdregulierte Kinder fragen dann auch oft tatsächlich nach Steuerung oder Führung, da wo sie sie brauchen (ich vermute mal, Dein Sohn würde z.B. auch auf Dich zukommen, wenn er den Eindruck hat, da läuft irgendwas ganz schief und er möchte das so nicht und vermutet, dass Du ihm helfen könntest in/mit der Schule?).
Lieben Gruß
Lena
Hallo Lena
schöne Seite, interessante Themen, danke dafür! Ich lese mich in das Thema gerade ein und habe eine brennende Frage: wie bekommt ihr das Zusammenleben mit Euren Kindern hin, ohne selbst dabei „den Kürzeren“ zu ziehen?
Wenn ich mein Kind bei allem unterstütze, was es vorhat, dann ist doch interessant, wann das Kind denn plant, selbst aufzuräumen, sich selbst zu waschen ect.? Bin ich dann nur noch die Hinterheraufräumputze vom Dienst?
Ich reagiere auf dieses Hinterher-Räumthema sehr allergisch, weil ich das jetzt jahrelang bei meinem Mann machen musste. Er hats jetzt kapiert (meistens) und ich habe im Stillen seine Mutter verflucht, weil die ihm nicht beigebracht hat, das man nicht nur kreativ sein kann, sondern das man hinterher seinen Arbeitsplatz auch wieder säubern muss (egal wo, Küche, Werkstatt, draußen…)
Ich würde so gerne, ganz ehrlich, von meiner blöden Ezieherei wegkommen. Ich will keine Strafen mehr und kein Drohen mehr… aber ich will auch nicht die Putzfrau sein.
wie schafft ihr das?
ganz liebe Grüße
Danke für den Artikel. Er gefällt mir gut und ich überlege mir im Umgang mit meinem Sohn einfach, ob ich mit einem Freund genauso umgehen würde. Allerdings habe ich eine Anmerkung zu deinem letzten Absatz. Machtausübung ist nicht per se schlecht und in der Elternrolle kommst du nicht drum herum. Denn du entscheidest für dein Kind. Du entscheidest auch, dass du so mit ihm umgehst und du entscheidest, dass es in dem Moment frei spielen kann und tun und lassen was es möchte. Diese Machtposition haben wir Eltern einfach.
Was du wahrscheinlich meintest, ist die gezielte Manipulation, die entstehen kann, wenn diese Position ausgenutzt wird.
Hallo Antonia, ich meine beides. Gerade im Kontext der sog. „liebevollen Erziehung“. Die würden viele gar nicht als machtausübend wahrnehmen, darauf wollte ich aufmerksam machen. Grundsätzlich ist macht-voll und stark zu sein etwas, worüber wir uns bewusst sein dürfen – wo übe ich das aus gegenüber einem weniger Macht-vollen ? Danke Dir von Herzen!
Ich finde es nicht schwierig umzusetzen im normalen Leben, ja ich rutsche oft ins Erziehen, merke aber dann, was ich mache, aber ich habe Mühe beim Homeschooling. Da bin ich in der Position der Lehrerin. Und ich möchte unser Privileg gerne behalten. Ich möchte nicht die Schule an meinem Kind rumerziehen lassen.
Liebe Elke, bist Du da in der Position, dass Auflagen gemacht werden, z.B. vom Bezirk?
[…] ganz allein dein Gemoser auf ein Minimum zu reduzieren. Ich kenne wunderbare Blogs zu diesem ThemaFamilienleicht.de von Lena Busch elternmorphose.de von Aida S. de Roriguez. Es ist nämlich so, dass wir oft viel zu viel […]
[…] umorganisieren oder auch einfach mal auf dem Feldweg sitzen bleiben. Genausowenig ist eben unerzogen ein Erziehungskonzept. Es sind Haltungen, Entscheidungen, auf eine Art und Weise miteinander umzugehen, die den anderen […]
Meine Güte, natürlich gehe ich davon aus, dass ich mich besser im Leben auskenne als mein Kind. Aus diesem Grund entscheide ich auch öfter was zu tun ist. Kinder wissen selbst am Besten was für sie das Beste ist – und zwar von Anfang an? Was soll das heißen? Wenn ein Neugeborenes Unwohlsein spürt und dies durch Schreien signalisiert, ist es auf einen feinfühligen Erwachsenen angewiesen, der genug Verständnis hat, um heraus zu finden, was das Kind braucht. Dadurch, dass eine Bindungsperson dem Kind zuverlässig und liebevoll die Bedürfnisse reguliert, lernt es mit der Zeit selber zu verstehen: „Ah jetzt fühl ich mich unwohl, weil ich hunger habe, ich muss essen“ Oder: „Ah ich fühle mich mies, weil ich übermüdet bin. Wenn ich die Augen zu mache und ruhe, kann`s danach wieder weiter gehen.“ Wenn ein übermüdetes Kleinkind emotional völlig unausgeglichen ist, sich und anderen das Leben schwer macht, aber noch nicht schlafen gehen will, dass braucht es einen verständigen, besonnen Erwachsenen, der Verantwortung für die Situation übernimmt und das Kind ins Bett bringt. Erwachsene haben nicht nur die Verantwortung für die Beziehung mit dem Kind, sondern auch für die psychosoziale und physische Gesundheit des Kindes. Ich glaube, unerzogene Eltern wollen ganz viel Gutes, aber ich finde die Begrifflichkeiten echt ganz unglücklich gewählt. Ich muss mich auch immer fragen, welche traumatischen Erfahrungen Eltern gemacht haben, die solche Angst haben ihre Kinder zu verletzen, in dem sie klare Grenzen setzen und ob es nicht sinnvoller wäre dieses Trauma aufzuarbeiten, statt sich daran in der Erziehung der Kinder ab zu arbeiten. Auf mich wirkt es auch irgendwie als ein Mangel an Selbstachtung, wenn gewachsene Leute, die im Leben schon einiges erfahren und lernen durften, den Kindern mit so einer Haltung gegenübertreten.
Wenn ein Neugeborenes schreit, dann weiß es schon, was es braucht und kommuniziert das auch – das Problem liegt meist auf Seiten des Erwachsenen, der dies eben feinfühlig erst herausfinden muß. Wer schon mal die halbe Nacht ein Baby geschuckelt hat, das eigentlich ein ganz anderes Bedürfnis hatte, weiß, was ich meine 😉 Ein hungriges Baby hört nicht auf zu schreien, weil ich es trage oder ihm den Potty anbiete etc. Und natürlich ist diese Kommunikation dann nicht nur einseitig.
Wir kennen uns als Erwachsene nicht zwangsläufig besser aus „im Leben“. Wir kennen die Erfahrungen, die wir gemacht haben, und unsere Sichtweisen und handeln und entscheiden auf deren Basis. Das muss nicht allgemeingültig sein.
Ohne Erziehung zu leben, heißt nicht, keine Verantwortung zu übernehmen und nicht zu begleiten.
Und ja, viele Eltern (Erziehende und nicht Erziehende) haben traumatische Erfahrungen gemacht: indem übergriffig mit ihnen umgegangen wurde, indem ihre Grenzen überschritten und mißachtet wurden. Meine eigenen Grenzen klar zu machen ist etwas völlig anderes als einem anderen Menschen willkürlich oder um eines Erziehungs-Ziels willen „Grenzen zu setzen“.
[…] Oelkers, J., & Lehmann, T. (1990). Antipädagogik: Herausforderung und Kritik. Beltz.Von Braunmühl, E. (2006). Antipädagogik: Studien zur Abschaffung der Erziehung. Weinheim: Beltz.https://www.pedocs.de/volltexte/2019/14338/pdf/ZfPaed_1985_1_Winkler_Ueber_das_Paedagogische.pdfhttp://www.antipaedagogik.de/https://www.grin.com/document/71153https://familienleicht.de/warum-unerzogen-kein-erziehungsstil-ist/https://www.focus.de/familie/eltern/familie-heute/kinder-nicht-erziehen-was-experten-sagen-wenn-eltern-sich-weigern_id_10182106.htmlhttps://mamaaempf.com/2018/08/09/unerzogen-nervt/https://frauenpanorama.de/unerzogen-leben-traumtaenzerische-erziehungsstile-schuld-an-deutschlands-bildungsdesaster/ […]