“Studie” zu Babys schreien lassen – ein minikurzer Rant

Gerade entert ein Beitrag von heute von einem der lt. Mediendaten fünf größten Frauenportale meine Facebook-Timeline. (Ich werde ihn NICHT verlinken, ich möchte dieser Angelegenheit keinen Traffic bescheren.)

Hiernach bestünde nun Entwarnung: das kontrollierte in-den-Schlaf-schreien-lassen nach Richard Ferber verursache keinen Stress für Babys. Dies habe eine wissenschaftliche Studie in Australien ergeben.

Dies sind die im Artikel genannten “Fakten” der nicht näher bezeichneten Studie, einen sichtbaren Quellennachweis bleibt uns das besagte Portal leider schuldig:

– die Studie wurde durchgeführt mit 43 (in Worten: dreiundvierzig) Babys
– davon wurden 1/3 geferbert/kontrolliert schreien lassen, 1/3 mit sanfteren Einschlafritualen oder -methoden begleitet, 1/3 diente als Kontrollgruppe
– zu der Antwort auf die Frage, ob die Einschlafmethode Stress für ein Baby verursache, wurde der Cortisolspiegel im Blut der Kleinen am nächsten Morgen als Gradmesser herangezogen. Hier sei es so gewesen, dass dieser bei den Babys der Ferber-Gruppe nicht erhöht gewesen sei.

Der Beitrag wurde unzählige Male auf Facebook geliked und geteilt.
Das Traurige ist, es ist davon auszugehen, dass sich Mütter danach richten oder diese “Studie” von wohlmeinenden Verwandten argumentatorisch unter die Nase gehalten bekommen.

Ich möchte mir fast nicht vorstellen müssen, dass diese Aussagen den Tatsachen entsprechen.

Man lasse es sich auf der Zunge zergehen:
Die riesengroße Gruppe von 14 oder 15 Babys weisen am Morgen nach dem Ferbern, also ungefähr 10 Stunden nachdem sie sich in den Schlaf geweint haben, keine höheren Werte eines Stresshormons auf und das wird als Aufhänger genommen, dass Ferbern keinen Stress für ein Baby bedeute und somit nicht schädlich sei. Und zwar so sehr, dass es auf der anderen Seite der Welt in einem großen Onlinemagazin so entwarnend wiedergegeben wird. (In der englischen Version macht es natürlich auch die Runde.)

Ernsthaft?
Ernsthaft ?????

Ganz ehrlich, da weine ICH mich in den Schlaf. Vor Entsetzen, wie entfremdet wir sein können. Von uns selbst, von unseren Kindern.

Und das erschöpft mich so sehr, dass ich tief durchschlafe, als ich endlich mal eingeschlafen bin. Wahrscheinlich gibt mein Cortisol-Spiegel Stunden später also auch nicht mehr die Aufregung des Vorabends wieder.

Tiefenentspannt fühle ich mich am nächsten Morgen jedoch unabhängig von meinem Hormonspiegel nicht.

Da wird eine gefährliche Beruhigung geschaffen, die faktisch nicht existiert. Natürlich, es kann tatsächlich sein, dass ein Baby das Ferbern einigermaßen “wegsteckt”. Es kann aber auch sein, dass es Auswirkungen auf sein Urvertrauen und sein späteres Leben hat. Ein Baby teilt mit Schreien immer etwas mit, es kommuniziert mit uns ! Was es beim Schreien lassen lernt, ist nur, dass das offensichtlich gerade niemanden interessiert und es sich daher die Energie besser spart. Babys wissen, dass sie ressourcenorientiert sein müssen: wer weiß, wie lange sie so ausharren müssen? Wann wieder jemand kommt? Es lernt Ohnmacht und Ausgeliefertsein. (Und wenige Minuten sind für ein Baby eine Ewigkeit.) Insofern wäre es auch sehr unklug von seinem Körper, wenn der am nächsten Morgen noch unter dem gleichen Streß stünde…

Bitte, liebe Eltern, glaubt nicht unbesehen alles, wo “Studie” draufsteht ! Lasst nicht in Ehrfurcht vor der “Wissenschaft” alles andere liegen. Hinterfragt!

Denkt solche Dinge durch, fragt Euch immer: würde ich das mit mir oder meinem Partner so handhaben, mit einem größeren Menschen? Wie fühlt sich das für mich an?

Schlafmangel ist schlimm. Ich weiß. Oft kommen zu mir Eltern mit diesen Themen. Ich kenne es aus der Beratung und aus eigener Erfahrung. Aber ein Baby schreien lassen darf, wenn überhaupt, nur der allerallerallerletzte Ausweg sein.

Es gibt immer andere Wege !

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13 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Ilaina am 26. Mai 2016 um 11:37

    Warum wiederholen wir eigentlich nicht gleich noch das “Ursprache-Experiment” eines preussischen Königs? Nicht nur, dass das ganze total unrepräsentativ und, von dem was Du schreibst, auch extremst unwissenschaftlich (warum wird z.B. der Hormonspiegel erst NACH dem Schlaf gemessen) ist, es ist auch einfach unmenschlich. Alternativ könnten wir auch mal 43 Erwachsene nehmen. Die einen müssen die ganze Nacht allein Horrorfilme schauen, die zweite Gruppe darf ins Bett und mit einer Puppe kuscheln und die Kontrollgruppe geht mit ihrem Partner zubett. Will mal sehen, wie viele da mitmachen.

    • Veröffentlicht von Lena am 26. Mai 2016 um 12:16

      Ja, vielleicht waren es deswegen nur so wenige Teilnehmer, weil sich keine Eltern dafür gefunden haben .. hoffen wir es mal.

      • Veröffentlicht von Ilaina am 26. Mai 2016 um 12:51

        Hoffentlich. Und allein Eltern, die ihr Baby für sowas zur Verfügung stellen. Da fällt mir der Kopf vom Schütteln fast ab.

  2. Veröffentlicht von Tabea am 26. Mai 2016 um 12:11

    Oh mann Lena…. das hab ich schonmal wieder gar nicht mitbekommen.

    Das ist ja echt zum k**** …. Die Studie hätte ja mal einfach nur mit 3 Kindern durchgeführt werden können – wäre ebenso aussagekräftig.

    Und bitte – wer macht eine Studie mit einer Methode, die selbst der Schaffer selbst inzwischen kritisch bewertet??

    Puh … ich muss erstmal raus an die frische Luft.

    Danke für die Stellungnahme… teile ich gleich mal an “meine” Mamas weiter…

    <3 ~Tabea

    • Veröffentlicht von Lena am 26. Mai 2016 um 12:16

      Oh ja Tabes, guter Punkt ! Sogar Ferber selbst hat sich ja distanziert.

  3. Veröffentlicht von Heidi am 26. Mai 2016 um 13:24

    Liebe Lena,

    Danke für diese klare Stellungnahme! Ein gutes Gegengift zu solchen pseudo-wissenschaftlichen Ansätzen ist für mich das Buch “Auf der Suche nach dem verlorenen Glück”. Mein Kind war leider schon 8 Monate alt, als ich es gelesen habe, da hatte ich schon das Buch von Kast-Zahn im Regal. Ich war danach so erschüttert, dass ich mich abgrundtief geschämt habe, auch nur in Erwägung gezogen zu haben, mein Baby schreien zu lassen.

    Heidi

    • Veröffentlicht von Lena am 26. Mai 2016 um 13:40

      Liebe Heidi,
      oh ja, das ist ein wunderbares Buch (also ich meine Liedloff, nicht Kast-Zahn ;-))

      Das ist so oft das generelle Problem: da stehen vermeintliche Experten, die sagen, was zu tun ist, und die Frauen fühlen sich klein und unsicher.

      Herzlichen Gruß

  4. Veröffentlicht von Jane am 26. Mai 2016 um 19:35

    Liebe Lena, leider musst du den Beitrag nicht mal verlinken, das macht Facebook von ganz alleine, wenn man deinen Beitrag über Facebook öffnet. ?

    • Veröffentlicht von Lena am 27. Mai 2016 um 11:35

      Was? Da muß ich mal gucken, danke für den Hinweis!

  5. Veröffentlicht von Jeanny Keil am 27. Mai 2016 um 10:23

    Den Cortisol Spiegel erst am nächsten Morgen zu messen ist ja schon die Frechheit und schieberei schlecht hin. Ganz zu schweigen davon das im Original Artikel nur schwer raus zu hören ist ob die ferberei schon statt gefunden hat und die Kinder bereits resigniert haben oder ob sie noch am erlernen waren dass sie nicht wahr genommen werden…
    Diese Studie ist einfach nur totaler Quatsch und zeigt wieder wie dumm manche Leute einfach sind…
    Ferbern ist quälend und zerstört die Kinderseele.. Punkt aus.. Wer ferbert zerstört die Seele seines Kindes Punkt

    • Veröffentlicht von Lena am 27. Mai 2016 um 11:34

      Ja.
      Ich finde es absolut erschreckend – diese “Studie” geht gerade immer weiter durch Print und TV, schrecklich !!!

  6. Veröffentlicht von Sandra Heim am 31. Mai 2016 um 10:49

    Toll geschrieben, Lena! Es ist sooo wichtig nicht alles zu glauben, was die Mainstream Medien verbreiten, vor allem, wenn es um unsere Kinder geht.
    Alles Liebe,
    Sandra

    • Veröffentlicht von Lena am 31. Mai 2016 um 10:53

      Ja, das ist wahr. Es schockiert mich nur, die Kreise, die etwas zieht, gerade wenn “Studie” darübersteht.

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